@PeterPlan hatte mit einem Foto von der Techniker-Krankenkasse eine Diskussion über die sog. "Überkorrektur" angestoßen. Ich hatte den Begriff "Tarzan-Effekt" dazu eingebracht.
Dieser Effekt beschreibt, wenn ein Haus oben breiter aussieht als unten, obwohl es von unten fotografiert wurde. DIeser Effekt tritt ausschließlich auf, wenn mit einer Fachkamera fotografiert wird. Er ist mit den Augen nicht so zu sehen und wirkt daher auf viele unnatürlich.
Bitte die Diskussion dort verfolgen, denn es gibt auch einige, die das nicht als unnatürlich ansehen. Jedem das Seine ...
Da ich mich an der DIskussion beteiligt hatte, hat es mich nochmal interessiert, wie es denn nun richtig geht. Meine damalige Aussage "3° korrigieren" war nur grob aus dem Gedächtnis und - wie ich jetzt wieder weißt - falsch.
Wollte wissen, wie es nochmal richtig ging und habe daher mit meinem alten Fototechnik-Dozenten an der FH Dortmund darüber gesprochen. An den Erkenntnissen will ich euch teil haben lassen.
Die folgenden Infos beruhen also auf einem Skript und einen Gespräch mit Axel Wehrtmann von der FH Dortmund, der dem Tarzan-Effekt auch seinen Namen verlieh (und dem Jane-Effekt auch, der beim Fotografiern von oben auftreten kann).
Ich bleibe im Folgenden am Beispiel des Fotografieren eines Hauses von unten. Alles gibt umgekehrt, wenn du von oben fotografierst.
Vorausgeschickt:
- Der Mensch hebt seinen Kopf nur, wenn er so weitnach oben sieht, dass der Winkel größer als 15-20° ist. Beträgt der Winkel weniger als diese 15-20°, bewegt er nur die Augen. Ob du schon bei 15° oder erst bei 20° deinen Kopf bewegst, hängt von deinen persönlichen Vorlieben und Sehgewohnheiten ab.
- Wenn der Mensch nur die Augen bewegen muss, gleicht das Hirn die stürzenden Linien aus - die Hauskanten scheinen parallel. Erst bei Überschreiten der 15-20° nimmt das Hirm stürzenden Linien wahr. Augen und Hirn sorgen also "von sich aus" für einen gewissen Teil der nötigen Korrektur.
- Diese Sehgewohnheiten müssen an der Fachkamera nachgeahmt werden, damit die Fotos natürlich aussehen.
Umsetzung dieser Erkenntnisse bei Neigungswinkeln unter 15-20°:
Die Filmstandarte ist 100%ig so auszurichten, dass sie parallel zur Hauskante verläuft. Damit sind die perspektivischen "Wünsche" des Hirns erfüllt - das Foto sieht natürlich aus.
Umsetzung dieser Erkenntnisse bei Neigungswinkeln über 15-20°:
Würdest du die Filmstandarte bei solchen Aufnahmen genau so parallel zum Haus ausrichten, wie gerade beschrieben, dann würde dein Hirn - so wie immer - eine zusätzliche Korrektur vornehmen.
Ergebnis: Das von unten fotografierte Haus würde sich an der Oberseite scheinbar verbreitern. Obwohl die Kanten nachweislich parallel zueinander verlaufen, erscheinen sie durch die Korrektur des Hirns oben breiter als unten.
Praktische Umsetzung dieser Erkenntnisse zur Vermeidung einer "Überkorrektur" (=Tarzan-Effekt):
- Die Filmstandarte so weit neigen, wie wir unseren Kopf nach oben bewegen würden.
- Korrigiere dazu die senkrechte Stellung der Filmstandarte um die Hälfte des Winkels, der über 15-20°hinausgeht. Und natürlich in die Richtung, in die wir den Kopf heben würden. Also beim fotografieren nach hinten korrigieren = Filmstandarte nach hinten schwenken.
Beispiel:
Du fotografierst in einem Winkel von 30° nach oben. Dann sollte die Filmstandarte 5 - 7,5° nach hinten geschwenkt werden.
Wir rechnen: 30 minus 15bis20 = 10bis15 geteilt durch 2 = 5 bis 7,5°
Achtung:
- Bei der Umsetzung in der Praxis nicht von den Gitterlinien der Mattscheibe irritieren lassen! Durch die Gitterlinien sehen die Linen stark stürzend aus.
- Später, am fertigen Foto, sind die Linien weg und unser Hirn nimmt wider seine übliche Korrektur vor.
Weil der o.g. Beitrag sehr kontrovers diskutiert wurde und bisweilen ein unschöner Ton angeschlagen wurde, eine Bitte an den Zweifler:
Probiere es aus und lass uns über ERGEBNISSE (also belichtete Filme!) reden. Worte allein haben allzu wenig mit Fotografie zu tun.
Fragen? Fragen!