Toteninsel?

  • Ich hatte einen Tag lang nichts anderes zu tun, als in deiner Arbeit zu lesen. Interessant fand ich da die Bildbeschreibung zur Ehebrecherin: Das mit wichtigste Merkmal im Bild ist die Schneise zwischen den Personengruppen hindurch auf das "Opfer" (ich habe nicht in Erinnerung, ob du diese Person bezeichnest (die Schriftgelehrten und die Pharisäer werden ja genau beschrieben und benannt). Die Person da gerade durch im Schatten mit Kind soll wohl die "betrogene" Ehefrau sein (der Ehemann ist gar nicht anwesend).
    Dann fällt mir als Knipser sofort das Licht auf, das beschreibst du ja als kräftiges Bühnenlicht. Der Jesus hat ein Privatlicht, ein Mikroklima. Er ist aus sich heraus hell, was auch die Rückseite der Figur nicht in tiefen Schatten versinken läßt. Interessanterweise kommt das Licht bei Poussin und bei de Ribera immer von links (du als Mythenbewanderter hast da doch sicher eine Erklärung - ich als Nichtchrist, Nichtmythiker, Nichtesotheriker erkenne all die Zeichen und Symbole nicht).
    Interessant auch, wieder auf Husserl zu stoßen. Mit dem habe ich mich beschäftigt, um meinen Blick auf die Welt zu klären. Die ewigen Fragen: "Wie ist die Welt, ohne daß ich sie sehe?" "Was kann ich wissen?" Seine Zweifel am ersten Eindruck, an der spontanen Affiziertheit, waren mir ein wichtiger Hinweis, seine tranzendent phänomenologische Herangehensweise ein Schritt in die richtige Richtung.

    -> das alles gehört eigentlich nicht an diese Stelle, aber Mitteilungen hintenrum sind nicht möglich.

    2 Mal editiert, zuletzt von Diesch (26. September 2019 um 11:39)

  • -> das alles gehört eigentlich nicht an diese Stelle, aber Mitteilungen hintenrum sind nicht möglich.

    Wenn es hintenrum ginge, könnte ich das nicht lesen. Das wäre dann bedauerlich. Aber nur weil ich das jetzt lesen konnte, sonst könnte ich es nicht wissen.

    Solche Themen finde ich hochspannend. Leider reichen meine intellektuellen Fähigkeiten nicht aus, um das alles zu begreifen, geschweige denn in schriftlicher Form etwas dazu beizutragen. Nichtsdestotrotz - macht weiter!

  • Ist mit Cid der spanische Held gemeint? Ich wußte gar nicht, daß es da auch französische texte gibt.

    Zur Konkretisierung der Räumlichkeit, die in der Literatur der Renaissance eine wichtige Rolle spielt: Cervantes bringt gerade ein "Ätsch, ich sage euch nicht, wo das spielt!" in den ersten Worten des Quijote:
    "En un lugar de la mancha de cuyo nombre no quiero acordarme ..." -> ich will mich nicht an den Ort erinnern, wo das spielt.

  • Oj!
    ICH! :oops:
    Nur, so ganz themenfremd sind die Überlegungen und Bezüge zu Malerei nicht.
    Die Frage war doch, wie das Licht die Sandsteinwände und Baumgruppen hervorheben soll.
    Toteninsel ist an sich doch schon etwas mystisches.

    Ein kläglicher Versuch sich herauszureden.

  • Zur Erweiterung könnten wir mal eine Assoziationskette zum Thema "Toteninsel" bilden. Soll ich banal anfangen?

    Tod: Ende, Ruhe, Vereinsamung, Ewigkeit, Finsternis, Übergang ...

    Insel: Einsamkeit, getrennt vom Rest der Welt (Insulierung!), Unerreichbarkeit, keine Rückkehr, Überfahrt, Boot, Fährmann ...

    Toteninsel: Böcklin? Tod als Insulierung des Toten von der lebenden Welt? Im Tod ist jeder alleingelassen?

    ... und jetzt dürft ihr mich schmähen!

    Al é bun sciöch' al é ...

  • Wenn das Foto unbedingt zum Begriff "Toteninsel" passen soll, dann sind Spitzlichter vielleicht eher zu vermeiden. Fahles Licht, dunkel bis maximal mittelhell, aber mit deutlichen Kontrasten in den Halbtönen, damit das Foto nicht einfach nur flau aussieht (das tut so einem richtigen Zoni natürlich weh, der unbedingt auf jedem Foto alle Tonwerte sehen möchte, völlig unabhängig davon, ob das Motiv das hergibt). Nach wie vor finde ich Bild 2 für diese Bildidee sehr aussichtsreich. Genauer beurteilen lann ich das nicht, weil es viel zu klein ist.


    Wenn auf den Titel verzichtet werden kann:
    Ich würde mir von der Lichtführung so etwas in der Art vorstellen ( wie es im Foto 2 schon angelegt ist, aber noch konsequenter und deutlicher sein könnte):

    • Offizieller Beitrag

    Zur Konkretisierung der Räumlichkeit, die in der Literatur der Renaissance eine wichtige Rolle spielt: Cervantes bringt gerade ein "Ätsch, ich sage euch nicht, wo das spielt!" in den ersten Worten des Quijote:
    "En un lugar de la mancha de cuyo nombre no quiero acordarme ..." -> ich will mich nicht an den Ort erinnern, wo das spielt.

    Nun ja, er sagt uns immerhin, dass es in der Mancha spielt... ;)

  • Und dazu etwas Musik in f-moll:

    • (Charpentier 1690):
      Obscur et plaintif
      [unklar und klagend]
    • (Rousseau 1691):
      Pour les plaintes & tous les sujets lamentables [...]
      [Für Klagen und andere klagende Themen]
    • (Masson 1697):
      triste & lugubre [...]
      [traurig und düster]

    Auch bei der Perzeption von Musik spielt der kulturelle Hintergrund eine Rolle (siehe Symbolik eines Kulturkreises), hier aber auch die Darreichungsform. Die Charaktere von Tonarten wurden in einer Zeit beschrieben, in der die Musikinstrumente noch nicht wohltemperiert gestimmt wurden. Dadurch gab es sehr rein klingende Akkorde und solche, die nicht gut klangen, weil die akkordinternen Intervalle hörbar unrein waren. Spielt man diese Musik auf modernen wohltemperiert gestimmten Instrumenten - also gleichschwebend - kann sich dieser Effekt nicht mehr einstellen, weil alle Akkorde innerhalb einer tolerieten Abweichung schlecht klingen.

  • Die Charaktere von Tonarten wurden in einer Zeit beschrieben, in der die Musikinstrumente noch nicht wohltemperiert gestimmt wurden. Dadurch gab es sehr rein klingende Akkorde und solche, die nicht gut klangen, weil die akkordinternen Intervalle hörbar unrein waren.

    Ich kann das Kommentieren wieder nicht lassen (Schreibinkontinenz?). Es fasziniert mich einfach. Die Tonartencharakteristik hatte ich nie verstanden, weil sie im Musikunterricht in der Schule zumindest bei mir nicht erklärt wurde. Im Gegenteil, kennengelernt habe ich dabei nur die exakt logarithmische Stimmung. Ich habe - als Nichtmusiker - recht lange gebraucht, bis mir das Prinzip der Naturtonreihe klar geworden ist, das gerade bei Blasinstrumenten signifikant ist. In gewissen Grenzen bleibt eine Tonartencharakteristik auch bei einer Wohltemperierung erhalten.

    Spielt man diese Musik auf modernen wohltemperiert gestimmten Instrumenten - also gleichschwebend - kann sich dieser Effekt nicht mehr einstellen, weil alle Akkorde innerhalb einer tolerieten Abweichung schlecht klingen.

    Eine temperierte (wohltemperiert ungleich gleichschwebend!) Stimmung ist im Wesentlichen auf Tasteninstrumente beschränkt. Blasinstrumente sind auf (modifizierbare) Naturtöne begrenzt. So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass es je nach Tonart zwischen Klavieren/Orgeln und bspw Trompeten zu Konflikten kommen kann. Wohingegen eine Trompete gewiss "strahlend" klingt, wenn sie in ihrer konstruktiv vorgegebenen Tonart gespielt werden kann. Wie weit wir das heutzutage noch wahrnehmen können, bleibt offen. Vergleicht man allerdings die kritischen Intervalle je nach Stimmung unmittelbar nebeneinander, wird es sehr hörbar.

    Tonsysteme sind sowieso interessant. Mir fällt dazu gerade https://de.wikipedia.org/wiki/Harry_Partch ein. Sehr ungewohnt zu hören, und ganz anders als die Mikrotonintervalle von Haba ...

    Ganz nett ist auch die Frage des absoluten Gehörs. Wie absolut kann die Tonerkennung sein, wenn man den Bezugspunkt (Kammerton) verändert?

    Al é bun sciöch' al é ...

  • Wie weit wir das heutzutage noch wahrnehmen können, bleibt offen.

    Das ist der Aspekt, auf den es mir ankam, als ich Parallelen zur Rezeption von bildender Kunst versuchte.
    (Anmerkung: Tasteninstrumente sind nicht zwingend gleichschwebend gestimmt. Unser Cembalo ist gestimmt nach 1/6-Komma - also nicht gleichschwebend)

  • Tasteninstrumente sind nicht zwingend gleichschwebend gestimmt

    Meine elende Beckmesserei: Genau deshalb habe ich auch zwischen wohltemperiert und gleichschwebend unterschieden.

    Rezeption ist ohnehin das Reizwort. Meiner Ansicht nach ist schon deshalb die so genannte historische Aufführungspraxis allenfalls historisierend. Historische Instrumente: Ja, mag gehen. Spieltechniken: Vielleicht. Hören mit historischen Ohren: Definitiv unmöglich. Wir haben nicht bspw das barocke Lebensgefühl. Kastraten machen uns nicht so sehr an ... obwohl ... wenn ich Jarousky höre ...

    Ich habe da auch noch eine vermutlich sehr lange Diskussion mit einer lieben Kollegin aus den Medienwissenschaften vor mir. Das war eine meiner Fragen - wie weit ist der Entstehungsprozess im Endprodukt wahrnehmbar? Dass es Einflüsse gibt, ist selbstverständlich. Aber können wir sie (wieder)erkennen und dingfest machen?

    Al é bun sciöch' al é ...

  • Hören mit historischen Ohren: Definitiv unmöglich.

    Es braucht seine Zeit, bis man sich eingehört hat. Dann sind die Feinheiten überwältigend und moderne Musikinstrumente kommen einem nur noch laut vor, ohne "Farbe" im Klang. Ich beschäftige mich mit Lautenmusik; mittlerweile finde ich den Klang der Instrumente überwältigend, aber das gedauert. Das gleiche gilt für die Aufführungspraxis von Orchestermusik; kleine Orchester lassen die Instrumente viel besser hören, dafür wummst es nicht so (was es zu z.B. Beethovens Zeiten auch nicht getan hat - von höfischer Musik des Barock mal ganz abgesehen. Eine Barockgeige unterscheidet sich in der Bauweise etwas von einer modernen Geige und es werden Darmsaiten verwendet. Den wesentlichen Unterschied macht aber der Bogen, der zu einer anderen Spielweise führt. Die Art zu singen, und, und , und

    Der Stimmton ist auch bei dieser Musik vereinheitlicht. In den Originalzeiten hatte jede gegend ihren eigenen Kammerton.

  • Zum Thema Toteninsel:
    interessant fände ich Publikumsreaktionen ohne den Titel; welche Interpretationen stellen sich, wenn sich welche einstellen? Der Titel ist doch schon recht suggestiv und man untersucht das Foto dann leicht darauf, ob es eine gelungene Illustration des Titels ist. Damit tut man dem Foto aus meiner Sicht keinen Gefallen.

  • Ich will wieder den Bezug zur Fotografie machen. Auch wenn man das mit der Musik von vor zweihundert Jahren und mehr, keinesfalls unmittelbar vergleichen kann. Die Fotografie ist ja ein neueres Kind und mit der Industrialisierung, Vereinheitlichung, gross geworden. Dennoch gibt es die unendliche Vielfalt von Tonalitäten, die man in Fotografien hervorrufen kann. Zumindest bei dem chemischen Weg der Bilderzeugung. Der digitale Weg scheint mir da eher etwas limitiert zu sein.

    Von daher finde ich Euren Ausflug in musikalische Gefilde durchaus passend. Die Auseinandersetzung mit einem anderen sinnlichem Wahrnehmungsbereich kann hilfreich sein, sich in seinem eigenen Tätigkeitsfeld zurecht zu finden oder neu oder anders zu orientieren. Man ist ja nicht ausschliesslich ein Augenmensch als Fotograf/Fotografin.

  • Person da gerade durch im Schatten mit Kind soll wohl die "betrogene" Ehefrau sein (der Ehemann ist gar nicht anwesend).

    das ist die ehebrecherin. sie ging fremd und soll gesteinigt werden.

    "Jesus hat ein Privatlicht, ein Mikroklima."

    eben. drei sorten licht in einem bild: das leuchten der buntfarben in richtung betrachter, das reliefierende modellierlicht von der seite, das eigenleuchtende helle haupt der hauptfigur, darin nurmehr nahezu strichzeichnung.


    " Interessanterweise kommt das Licht bei Poussin und bei de Ribera immer von links (du als Mythenbewanderter hast da doch sicher eine Erklärung - ich als Nichtchrist, Nichtmythiker, Nichtesotheriker erkenne all die Zeichen und Symbole nicht)."

    nichts esoterisches. einfach die europäische leserichtung. kurt badt: vermeer-buch.


    gruss, bis bald

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!