Schilf im Wasser - Davis, Kalifornien 2009

  • Ich denke, gesehen wurde das Motiv so vermutlich nicht.

    Grelle Sonne hätte m.E. auch Reflexionen gezeigt.

    Überbelichtung, N+, oder harte Gradation fielen mir spontan ein, um die grafische Wirkung zu erwirken.

    ...

  • Wenn ich schreibe:

    Einfach gut gesehen.

    meine ich mit "einfach", dass das gute Sehen das Grundsätzliche ist.

    Eher gut prävisualisiert.

    Oder nachträglich gut umgemodelt.

    Umarbeitungen ist ganz normaler Teil eines künstlerischen Prozesses. In der Gegenwart des künstlerischen Schaffens werden die Fakten des Bestehenden zu Möglichkeiten der Zukunft. Und zwar in jeder Phase des Prozesses.

    Ich denke, gesehen wurde das Motiv so vermutlich nicht.

    Grelle Sonne hätte m.E. auch Reflexionen gezeigt.

    Überbelichtung, N+, oder harte Gradation fielen mir spontan ein, um die grafische Wirkung zu erwirken.

    Sicher kann man die Bildwirkung akzentuieren. Aber wenn jemand schon so selektiv schaut und alles Unwesentliche ausklammert, kann man auch voraussetzen, dass er das Motiv so gesehen und die weitere Verarbeitung so und nicht anders "vorgesehen" - "prävisualisiert" - hat.

    Grelle Sonne sehe ich hier keine. Reflexionen des Himmels sehe ich hier ausschließlich - sieht man unten sogar Wolken? Überbelichtung sehe ich hier keine - man sieht sogar den Seegrund. N+ dementsprechend auch nicht, und hart wirkt das Bild auch nicht: man kann an einigen Schilfhalmen auch Halbtöne erkennen.

    Das Bild hat viel "Zeit" in sich. Man muss sich aber die Zeit "nehmen", im doppelten Sinn: Zeit nehmen zum Bildbetrachten, Bildzeit aus dem Bild herauszuschöpfen. (Gute Kunstwerke setzen fast immer auch Bildzeit und Betrachtungszeit ins Verhältnis.)

    Zuerst schaut man auf die Oberfläche - oberflächlich: Nett, ein ungestaltes Nichts mit magisch-realistischen Formen, die sich vertreuen.

    Dann aber dringt der Blick durch die Oberfläche, auf den Grund des Sees, auf den Grund der Dinge. Man merkt: die Oberfläche ist so hell, weil der Himmel so hell ist. Und die Formen sind in sich symmetrisch, weil es sich um Spiegelungen handelt.

    Dann kommt der Blick auf das fotografische Schaffen: dass der Fotograf es schafft, das Motiv so und nicht anders zu isolieren. Dass er die Formen verteilt und nur sehr schwach gruppiert. Jede für sich. Kontrast genau so viel, dass das so rauskommt, anstatt mit Wucht die innere Bildzeit zu erschlagen. Dass er -vielleicht - mit Abwedeln oder Nachbelichten eine einheitliche Fläche erzeugt, auf der die Schilfhalme wie Noten einer Bach-Partitur oder meinetwegen der Black Page stehen, die man quer durchs Bild lesen und wiederaufführen kann.

    Dadurch wird aber der fotografische Prozess selber zum Thema. (Gute Kunstwerke thematisieren fast immer auch ihren eigenen Prozess.)

  • ( Einfach gut gesehen)meine ich mit "einfach", dass das gute Sehen das Grundsätzliche ist.

    Das kam bei mir dann an, wie geschrieben. Gut ge-sehen.


    Gute Kunstwerke setzen fast immer auch Bildzeit und Betrachtungszeit ins Verhältnis.

    Na, das ist mal ne Antwort - gut, daß ich mich eingebracht hatte.

    Ich meine das übrigens so, wie es da steht.

    Da ich in Kunstangelegenheiten unbelesen bin, mußte ich das Ganze erst mal wirken lassen.

    Ich finde Deine Erklärung wert, sie weiter zu vertiefen, und Normans Bild unter den mir nun neuen Aspekten noch einmal zu erarbeiten.

    ...

  • becalm : Der Unbelesenheit kann abgeholfen werden, und wenn Du das vertiefen willst, freue ich mich sehr. Es käme meiner Meinung nach aber darauf an, das Richtige zu lesen und sich nicht zuzumüllen mit Unwesentlichem. Ich empfehle, vom Anschaulichen auszugehen. Zum Thema "Bildzeit - Betrachtungszeit" gibt es einen sehr tollen zehnseitigen Aufsatz: Boehm, Gottfried: Das spezifische Gewicht des Raumes. Temporalität und Skulptur. -in: Lammert, Angela; Diers, Michael; Kudielka, Robert; Mattenklott, Gert (Hrg.): Topos Raum. Die Aktualität des Raumes in den Künsten der Gegenwart. Nürnberg, 2005. S. 31-41. Zu Boehm vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Gottfried_Boehm

    Boehm schreibt darin, dass die Werkeigenschaften dem menschlichen "Zeitsinn" Stoff geben. Der Betrachter erfährt, dass die Bilddinge in einem zeitlichen Zusammenhang stehen, und wie dieser Zusammenhang aussieht.

    Bildgegenstände stehen so und so zueinander. Diese Bezugsetzung erfolgt je nach Betrachter anders, je nach Art und Weise der Augenbewegung im fokalen Sehen. Aber sie erfolgt, weil der Künstler das so gestaltet. Wie wenn man ein Buch liest. Die einen fangen mit dem letzten Kapitel an, die anderen vorne, andere wiederum in der Mitte. Am Ende haben sie trotzdem Ursache und Wirkung, die bloße Abfolge der Ereignisse und den Kommentar des Erzählers verstanden, oder?

    Das ist ja beim Miteinanderreden nicht anders. Du hast Deinen Text inkl. Subtext und Kontext, und wenn ich Dir zuhöre und Dich zu verstehen versuche, setze ich ja nicht am Anfang an (bei Deiner Geburt), sondern steige mittendrin ein und erschließe Vorher und Nachher. Erst nach einiger Zeit erlaube ich mir ein abschließendes Urteil darüber was Du erzählst und wie Du das tust.

    Generalisieren kann man das nicht. Man lernt die Grammatik des Werkes kennen, und die ist was anderes als das Vokabular. Viele sehen in den Werken ja nur Vokabeln, die arrangiert werden. Das Arrangement erfolgt aber nach grammatischen Regeln, und an welcher Stelle jetzt jemand einsetzt mit dem Verstehen einer Botschaft, das ist ja immer anders. Interessant ist daran, dass es überhaupt eine Grammatik gibt.

    Am Ende wäre das Vorgehen also so: man druckt sich das Bild aus oder setzt sich in eine Ausstellung oder leiht sich am besten das Bild vom Künstler aus. Man kocht sich eine Kanne Kaffee, die man aber nicht über das Original kippt. Man sorgt für Ruhe und Gelassenheit. Wie wäre es mit einer dicken Havanna?

    Man nimmt sich einen Stift und ein Blatt Papier. Dann schreibt man sich auf, warum man das Ganze macht und was man von der bevorstehenden Meditation erwartet. Dann schaut man sich das Bild an. Man schreibt sich auf, welche Fragen das Werk aufwirft. Anschließend fängt man an, zu schreiben, welche Bildgegenstände man sieht. Da sieht man dann immer mehr. Das Puzzle setzt sich zusammen. Anschließend beschreibt man die Formen, und nur diese. Dann die Farben und Tonwerte, und nur diese. Dann beschreibt man ausführlich, wie Farben und Formen bzw. Tonwerte zueinander in Beziehung stehen. keine Angst: wenn man das Vorherige gewissenhaft durchgeführt hat, ergeben sich Komposition, Disposition, Rhythmus, Lichtführung, Körperlichkeit, Plastizitat, Raumbildung, Zeiterlebnis von alleine.

  • Ganz unironisch gemeint: Sehr schöne kunsthistorische Vorgehensweise! Gottfried Böhm - erinnert mich auch an Max Imdahl ... wichtig ist vor allem auch die Zeit, die man sich selbst nehmen sollte (oder sogar muss). Kann wirklich jedermann/frau so machen.

    Al é bun sciöch' al é ...

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