Grüne Haselnüsse

  • Das ist ein tolles Bild. So einfach, und doch megakomplex. Ich habe jetzt einige Zeit darüber nachgedacht, während ich mich an der Meuse aufhielt.


    Das Bild gibt Antwort auf einen ganzen Strauß an Fragen, die man sich stellen kann, z.B. wurde die richtige Brennweite gewählt, kommt die Beschaffenheit des Materials zum Ausdruck, gibt es ein allgemein-menschliches Interesse an der Sache, was ist mit dem Licht, mit den unnötigen Bildgegenständen, bin ich nah genug dran usw.


    Die Gestaltung verfährt sehr subtil. Wenn man die hellen Reflexe auf dem Schalenrand rechts unten sieht, so werden diese und die Helligkeit der Haselnüsse ausgewichtet durch die große Blattform. Linien - die Blattadern - vermitteln zwischen diesen Bildpartien und erweitern sich in das große Blatt, während sie an den Haselnüssen selber bogig und parallel laufen, eng beieinander. Dass die Schrammen am hellen Schalenrand genau in der Fortführung der engen Linienscharen der Haselnüsse liegen, ist sicher kein Zufall. Ebenso die flankierenden Schrammen rechts im Schalenboden sowie die Wellen im linken Hellbereich des Schaleninnerns.


    Der hellen Schalenbodenpartie links unten antwortet rechts oben ein etwas dunkeres Schaleninneres. Eine Überkreuzdisposition, die die Linienführung von rechts unten nach links oben quert. Die Nüsse werden so in der Bildfläche verspannt. Sie erhalten einen Ort. Sie müssen genau dort sein, nirgendwo sonst.


    Die Verspannung der Nüsse in der Bildfläche greift jedoch nicht auf eine allzu lange Brennweite zurück. Wichtig ist, dass hier das Volumen der Bildgegenstände herauskommt. Weder zu lang (verflachend), noch zu kurz (fluchtend) ist die Brennweite bzw. die davon abhängige Standortwahl. Die Schale hat gerade die Räumlichkeit, die es braucht, um die Nüsse in sich zu bergen, nicht aber den Blick von den Nüssen in das Schalenrund zu leiten oder umgekehrt das Schalenrund zu einem flachen Hintergrund zu degradieren.


    Abgesehen davon, dass die Holzschüssel genau die Materialität zeigt, die die Blätter um die Nüsse herum verdecken, ist das Material auch ziemlich passend gewählt, was die Reflexe und die Textur angeht. Die Bildgegenstände sind aufeinander Bezogen, inhaltlich wie formal spielen sie aufeinander an und bilden so eine Einheit. Da braucht man sich noch nicht einmal zu fragen, warum der Fotograf jetzt Nüsse und eine Schale zeigt. Das gehört in diesem Bild einfach zusammen, genau wie manche Menschen zu manchen anderen Menschen passen oder die Faust auf's Auge.


    Ich vermute mal, dass in diesem Bezug aus Bergen und Zeigen (Schale), Verdecken und Offenbaren (Holz), Natur und Mensch (Naturding und Artefakt) ein Schlüssel liegt zum weiteren Verständnis, und damit zum Allgemein-Menschlichen, und damit meine ich nicht nur die Weiterung zum Erkennen und Erhalten des Naturschönen bzw. der Schöpfung, sondern auch die Bezugnahme des Alten, Gekerbten, zum Neuen, Grazil-Intakten. Alter und Jugend. Konditionierung und Ursprünglichkeit. Das ist ein recht philosophisches Bild, das zum Nachdenken über das Wahre und Gute anregt.


    Insofern muss so ein Bild einfach sein. Es ist nicht einfach irgend eine Zusammenstellung von Dingen, die mit Apo und Pyro auf Gitzo geknipst wurden, sondern ein Bild, das so nicht anders ging.


    Man muss sich das nur mal vor Augen halten, im buchstäblichen Sinne - hier geben sich die Leute ja vornehmlich mit abfotografierten Negativen zufrieden: das Bild wurde auf Papier ausgearbeitet, worin ja Fragen der Gradation, der Reproduzierbarkeit, der Bildgrößenwahl, des Dry-Down-Effektes usw. reinspielen. Ich stelle mir das eben gar nicht sooo einfach vor, den glänzenden Schalenrand genau wie die leuchtenden Blattrippen zu erhalten und den zackigen Blattrand vor dem eigenen Hintergrundschatten. Und den Bildton. Was muss das für eine Freude sein, sowas in die Schale zu kriegen und zu einer Edition auszuarbeiten!


    Das Bild wirkt einfach, vermutlich wegen der einfachen Bildgegenstände und wegen der Lichtführung - ich vermute, es handelt sich um ein Arrangement an einem großen Fenster, das vielleicht nach Norden zeigt. Vielleicht noch eine Aufhellung aus Richtung der Kamera, durch einen weißen Karton? - Jedenfalls gibt es nichts Unverständliches an dem Bild, weder einen ästhetischen Bruch, noch eine technische Schwäche. Ich vermute, es handelt sich um eine einfache Aufnahmetechnik mit einfachem Werkzeug, das unprätentiös und ohne technizistische Turnerei zur Anwendung gebracht wurde.


    Wenn das Deine fotografische Neuorientierung ist, von der Du, Norman, vor einiger Zeit mal gesprochen hast: Respekt! Das muss man auch erst mal hinkriegen: eine Neufindung im Fotografischen, auf dieser Flughöhe, nach all diesen tollen Bildern, die Du bisher gezeigt hast!

  • Ist das jetzt wirklich dein Ernst? So ein Fotograf willst du werden?

    Dieses Foto bringt mich nicht auf den Höhepunkt meiner fotografischen Karriere, und ich weiß nicht, ob ich jemals der Fotograf sein werde, der ich zu werden hoffe - ein so guter Fotograf wie Sie und andere hier. Ich weiß nur, dass ich unruhig bin, weil die Dinge zu lange so geblieben sind, wie sie sind. Das liegt zum einen daran, dass ich nicht sicher an weit entfernte Orte reisen kann, um ungewöhnliche Motive zu finden, und zum anderen daran, dass ich es leid bin, immer wieder dasselbe zu tun. Ich denke, es könnte interessant sein, so zu fotografieren, dass fast alle Töne, wenn nicht sogar alle Töne, bei V oder VI und höher liegen, aber mit FP4 oder einem anderen panchromatischen Film ist das nur bei kontrastarmen Szenen möglich. (Ich bin nicht daran interessiert, zur Infrarotfotografie zurückzukehren. Die Zeiten, in denen ich mich fragte, ob meine Fotos gut werden würden, liegen weit hinter mir, und angesichts meines Alters und meiner Erfahrung mit der Fotografie sehe ich keinen Grund, mich noch einmal auf dieses Abenteuer einzulassen). Es wurde vereinbart, dass alle meine Negative und repräsentativen Abzüge an die Abteilung für besondere Sammlungen der University of California in Davis gehen, wenn meine Zeit als Fotograf vorbei ist. Ich möchte mehr hinterlassen als Szenen von Orten, die ich besucht habe. Ich möchte etwas Persönliches hinterlassen - etwas von dem Leben, das ich an den verschiedenen Orten gelebt habe, die ich mein Zuhause nannte, so dass diejenigen, die meine Arbeit in der Zukunft betrachten, auch etwas über die Person hinter der Linse erfahren können, wenn sie sich dafür entscheiden, es zu sehen. Grüne Haselnüsse ist ein solches Bild. Es ist ruhig, einfach und leicht zu verstehen. Selbst wenn man nur erkennt, dass es eine Pflanze zeigt, ist es zumindest ein Bild von etwas, das praktisch allen menschlichen Erfahrungen gemeinsam ist und daher wahrscheinlich von allen Menschen verstanden wird, ganz gleich, woher sie kommen. Selbst Menschen, die in Grönland geboren und aufgewachsen sind, wissen, was eine Pflanze ist. Das ist die Richtung, die ich einschlagen möchte, wobei ich die negative Dichte so hoch wie möglich treibe, ohne die Textur zu verlieren. Ich rechne mit vielen Fehlschlägen auf dem Weg dorthin - und vielleicht einigen Überraschungen.


    VG,

    Norman

  • Dieses Foto bringt mich nicht auf den Höhepunkt meiner fotografischen Karriere, und ich weiß nicht, ob ich jemals der Fotograf sein werde, der ich zu werden hoffe - ein so guter Fotograf wie Sie und andere hier. Ich weiß nur, dass ich unruhig bin, weil die Dinge zu lange so geblieben sind, wie sie sind. Das liegt zum einen daran, dass ich nicht sicher an weit entfernte Orte reisen kann, um ungewöhnliche Motive zu finden, und zum anderen daran, dass ich es leid bin, immer wieder dasselbe zu tun. Ich denke, es könnte interessant sein, so zu fotografieren, dass fast alle Töne, wenn nicht sogar alle Töne, bei V oder VI und höher liegen, aber mit FP4 oder einem anderen panchromatischen Film ist das nur bei kontrastarmen Szenen möglich. (Ich bin nicht daran interessiert, zur Infrarotfotografie zurückzukehren. Die Zeiten, in denen ich mich fragte, ob meine Fotos gut werden würden, liegen weit hinter mir, und angesichts meines Alters und meiner Erfahrung mit der Fotografie sehe ich keinen Grund, mich noch einmal auf dieses Abenteuer einzulassen). Es wurde vereinbart, dass alle meine Negative und repräsentativen Abzüge an die Abteilung für besondere Sammlungen der University of California in Davis gehen, wenn meine Zeit als Fotograf vorbei ist. Ich möchte mehr hinterlassen als Szenen von Orten, die ich besucht habe. Ich möchte etwas Persönliches hinterlassen - etwas von dem Leben, das ich an den verschiedenen Orten gelebt habe, die ich mein Zuhause nannte, so dass diejenigen, die meine Arbeit in der Zukunft betrachten, auch etwas über die Person hinter der Linse erfahren können, wenn sie sich dafür entscheiden, es zu sehen. Grüne Haselnüsse ist ein solches Bild. Es ist ruhig, einfach und leicht zu verstehen. Selbst wenn man nur erkennt, dass es eine Pflanze zeigt, ist es zumindest ein Bild von etwas, das praktisch allen menschlichen Erfahrungen gemeinsam ist und daher wahrscheinlich von allen Menschen verstanden wird, ganz gleich, woher sie kommen. Selbst Menschen, die in Grönland geboren und aufgewachsen sind, wissen, was eine Pflanze ist. Das ist die Richtung, die ich einschlagen möchte, wobei ich die negative Dichte so hoch wie möglich treibe, ohne die Textur zu verlieren. Ich rechne mit vielen Fehlschlägen auf dem Weg dorthin - und vielleicht einigen Überraschungen.


    VG,

    Norman

    Norman,

    das alles kommt mir irgendwie bekannt vor. Aber ist das der richtige Weg? Wenn ich deine früheren Arbeiten, mit den letzten hier gezeigten vergleiche, scheint es mir eine Sackgasse zu werden.

  • Ja, lach nur, irgendwie drückt man es halt aus. Ich z.B. nehme lange Brennweiten, um Dinge in der Bildfläche zu verspannen, und kurze, um Beziehungen zwischen Dingen in der Tiefe herzustellen. - Ich bemühe mich, einem guten Werk gerecht zu werden, indem ich mich angemessen zu artikulieren versuche. Es mag manchem zu geschwollen tönen, aber dafür mache ich nur selten Leute runter. Ist doch auch mal was.

  • Ich denke, es könnte interessant sein, so zu fotografieren, dass fast alle Töne, wenn nicht sogar alle Töne, bei V oder VI und höher liegen, aber mit FP4 oder einem anderen panchromatischen Film ist das nur bei kontrastarmen Szenen möglich.


    Ich denke schon, daß dies mit panchromatischem Film und auch dem FP4 mit kontrastreicheren Motiven geht.

    Ich habe dazu Steve Sherman's Strategie und Bilder im Hinterkopf.


    Als Hobbyfotograf, der dem postmortalen Verbleib seines Schaffens wenig Bedeutung beimißt, finde ich Dein Bild schlicht schön, angenehm unaufdringlich - es ist dem aesthetischen Wesen der Natur auf der Schliche.

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