Aber doch, in der Eingangsfrage ging es auch darum, dass vordigitale Bilder weniger kontrastreich und scharf kommen als digitale Bilder,
weil die kleinen "Fehler" und Unzulänglichkeiten wie Korn und Staubflecken uvm. im Gegensatz zu den technisch perfekten und "sterilen" Digitalbildern den Scharm des Bildes ausmachen.
Die Vorstellung von einer analogen Zeit, zu der die Fotografie noch unperfekte Bilder produzerte (Kratzer, Flausen, Korn etc.) und Kontraste in piktoralistischer Weichspülerei verschwanden ist in meinen Augen recht kurz gegriffen. Es gab immer Phasen in denen sich Bildsprachen (bzw. Stile) geändert haben. Diese Änderungen haben manchmal technische Gründe können aber auch Reaktionen auf einen geänderten Kontext sein.
Die frühen Daguerreotypien hatten eine andere Anmutung als die zeitgleich entstandenen Kalotypie. Im Laufe des 19. Jahrhunderts ermöglichten neue Verfahren (Trockenplatte, Silbergelatineabzug) eine noch stärkere Präzision und Klarheit der Abzüge. Den Piktoralismus kann man als Reaktion auf diese vorangegangenen Entwicklungen sehen - der Weg weg von der angeblich "technischen" Präzision wurde mit neuen technischen Mitteln geebnet, die wieder auf stärker "unscharfe" und "manuelle" Ästhetik setzen und damit die Nähe zur Malerei suchen. Die Piktoralisten sahen sich ihrerseits dem Vorwurf des Manierismus ausgesetzt und die Fotografie der neuen Sachlichkeit bzw. des Objektivismus setzten radikal auf die genuin technischen Eigenschaften des Mediums vor allem als Abgrenzung zur Malerei.
Im "digitalen Zeitalter" bietet vor allem die analoge Fotografie die Möglichkeit einer Emanzipation von vorgeblicher technischer Perfektion. Dem analogen Prozess wird etwas magisches und erratisches angedichtet. Das ist nachvollziehbar, ignoriert aber in meinen Augen die Tatsache, dass vor allem seit Beginn der 1950er Jahre ein Maß an Präzision ein der Fotografie erreicht war, die dem digitalen ebenbürtig ist. Die Techniken der Vervielfältigung in Massenmedien (Zeitungen und Zeitschriften) waren noch nicht so weit - aber wer sich mal Abzüge aus dieser Zeit angesehen hat wird nicht auf die Idee kommen, dass da Leute gearbeitet haben, die das "Unzulängliche" suchen. Das gilt für viele fotografische Bereiche - etwa die Portraitfotografie (Yousuf Karsh z.B.), die Architekturfotografie (Hugo Schmölz oder Julius Shulman) oder auch die Landschaftsfotografie (u.a. Ansel Adams). Aber nicht nur in der Spitze, auch in der Breite (Werbefotografie) war eine hohe handwerkliche Präzision vorhanden.
Dabei würde es mir um keine qualitative Bewertung dieser Strömungen gehen. Es ist ja durchaus verständlich, dass bestimmte analoge Prozesse (wie die Nassplattenfotografie) wieder im Kommen sind, um zu Ästhetiken, die durch das Digitale forciert wurden, ein Gegenpol zu bilden. Die Leute freuten sich darüber, dass Ihre Negative und Positive von obskuren Cine-Filmen die im Drogeriemarkt abgegeben wurden ganz anders aussehen als das, was man am Bildschirm mit Photoshop produziert. Analoge Fotografie wird so zum bewussten Kontrollverlust. Was mir immer nur zu kurz greift ist die "Romantisierung" des analogen Prozesses: Überall Flusen, Kratzer und fransige Ränder. Bisweilen wird da auch einfach dem Dilettantismus gefrönt.
Interessant ist, dass besonders in der Großformatfotografie diese Diskussionen stark forciert werden. So war die Fotografie im Großformat lange Zeit der "heilige Gral" der technischen Präzision: Höchste Auflösung, perfekte Komposition, wunderbare Grauwerte und fast nur professionelle Anwender. Alles was als "analoge Wende" (oder Gegenpol) zunächst passierte war meist auf Klein- oder Mittelformat (oder Sofortbild) beschränkt. Zugleich ist aber auch grade die Großformatfotografie noch anachronistischer als alle anderen Arten. Die Kameras sehen bisweilen noch aus wie im 19. Jahrhundert, kein Prozess ist ursprünglicher, langsamer und aufwändiger.
Was also tun? Wie geht man um mit der Forderung nach "knackigen" Fotos? Ich behaupte immer, das Wichtigste ist das Reflektieren des eigenen Tuns. Oder besser Formuliert: Ich finde die Arbeiten am spannendsten, an denen man abliest, dass der/die Fotograf/in sich Gedanken gemacht hat und nicht bloß Ästhetiken reproduziert.
Die Kriterien für "falsch/richtig" werden ja von unterschiedlicher Seite formuliert und sind zudem noch mit der Zeit wandelbar. Den berühmten Spruch, dass Regeln da sind um gebrochen zu werden, würde ich für ästhetische Belange immer unterschreiben. Man sollte dann aber auch die Regeln kennen, die man bricht und wissen warum man das tut. Ein Werbefoto muss andere Kriterien erfüllen als ein Pressebild oder ein Urlaubsfoto. Ein guter Fotograf sollte wissen was er/sie macht und warum das so ist. Und wenn jemand das gar nicht reflektiert und einfach nur "schöne Bilder" macht ist das ja auch ok - für mich dann als Ergebnis aber meist mit Verlaub langweilig.
Zum Thema der Perfektion in der Fotografie noch eine Literaturempfehlung:
Peter Geimer: Bilder aus Versehen. Eine Geschichte fotografischer Erscheinungen (Philo Verlag, Hamburg 2010)
Peter Geimer: Bilder aus Versehen. Eine Geschichte fotografischer Erscheinungen - Perlentaucher